Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 19.07.2023

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

Ein Urteil des VG Berlin zur rückwirkenden Anwendung des neuen sektorübergreifenden Korrekturfaktors (SKF) in der dritten Handelsperiode wurde vom OVG Berlin-Brandenburg bestätigt.

Die Klägerin betreibt eine chemische Fabrik, bestehend aus einer Anlage zur Herstellung von Vinylchlorid-Monomer (VCM), einer PVC-Anlage und einer Dampfkesselanlage.

Zu Beginn der dritten Handelsperiode erhielt sie für die VCM-Anlage und die Dampfkesselanlage kostenlos zugeteilte Emissionsberechtigungen. Bei der Antragstellung hatte ein Mitarbeiter der Klägerin die Frage, ob für die Herstellung von VCM-Wärme verwendet wird, die aus der Verbrennung von Wasserstoff stammt, zu Unrecht verneint. Dieser Fehler blieb zunächst unbemerkt. Der Verifizierer bestätigte die Richtigkeit der Angaben im Zuteilungsantrag und die DEHSt teilte auf Basis dieser Angaben kostenlose Emissionsberechtigungen zu. Wäre die Verwendung von Wärme aus der Verbrennung von Wasserstoff angegeben worden, wäre die kostenlose Zuteilung um einen Korrekturfaktor (VCM-Korrekturfaktor) von 0,96 nach unten korrigiert worden.

Anlässlich der Änderung des TEHG ab dem 01.01.2018, mit welcher der Anwendungsbereich auf die Herstellung von PVC ausgedehnt wurde, reichte die Klägerin im Jahr 2017 eine überarbeitete Version des Zuteilungsantrags für die Jahre 2018 bis 2020 ein. In diesem Antrag wurde die Verwendung von Wasserstoff zutreffend angegeben.

Daraufhin nahm die DEHSt im Jahr 2020 den ursprünglichen Zuteilungsbescheid zurück und nahm eine rückwirkenden Neuzuteilung von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2013 bis 2020 vor. Der Korrektur lag unter anderem die Berücksichtigung des zutreffenden VCM-Korrekturfaktors von 0,96 von Beginn der Zuteilungsperiode an zugrunde. Die korrigierte Zuteilungsmenge wurde auf Veranlassung der DEHSt auch in die NIMs-Liste eingetragen. Außerdem wurde der infolge des Beschlusses der EU-Kommission 2017/126/EU vom 24.01.2017 verschärfte neue sektorübergreifende Korrekturfaktor (SKF) auf die gesamte Zuteilungsmenge angewendet. Gegen diese beiden Punkte der Neuberechnung wandte sich die Klage vor dem VG Berlin.

In Bezug auf die nachträgliche Berücksichtigung des VCM-Korrekturfaktors war die Klägerin der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des ursprünglichen Zuteilungsbescheides nicht vorgelegen hätten. Die rechtswidrige Zuteilungsentscheidung sei nicht im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG durch die falschen Angaben des Mitarbeiters "erwirkt" worden, da der Verifizierer die falschen Angaben als zutreffend bestätigt hat und die DEHSt sich diese Bestätigung der Richtigkeit zurechnen lassen müsse.

Das VG Berlin folgte dieser Auffassung nicht. Es urteilte, dass der Fehler des Testats des Verifizierers die Kausalität der falschen Angaben für die rechtswidrige Zuteilungsentscheidung jedenfalls dann nicht entfallen lässt, wenn der Fehler nicht offensichtlich war, was hier nach Einschätzung des Gerichts nicht der Fall war.

Weiterhin vertrat die Klägerin die Auffassung, bei der Neuberechnung der Zuteilungsmenge hätte nicht der neue SKF angewendet werden dürfen, da die ursprüngliche Zuteilungsentscheidung vor dem Stichtag 01.03.2017, zu dem der alte SKF vom EuGH für ungültig erklärt wurde, erfolgt ist.

Die Frage, ob - beziehungsweise in welchen Konstellationen - der neue SKF bei einer Neuberechnung der Zuteilungsmenge rückwirkend anzuwenden ist, war bisher ungeklärt. Das VG Berlin billigte die Vorgehensweise der DEHSt. Es stützte sich dabei maßgeblich auf das Guidance-Dokument der Europäischen Kommission vom 13.02.2017 zum geänderten SKF (Note for the attention of members of the climate change committee – Guidance on the implementation of the revised Cross Sectoral Correction factor values). Dort wird explizit der vorliegende Fall der Korrektur der NIMs-Liste als eines der Beispiele für die Anwendung des neuen sektorübergreifenden Korrekturfaktors genannt. Dieses Dokument ist zwar rechtlich nicht verbindlich, stellt aber in den Augen des Gerichts eine Interpretationshilfe für die Fragen der Anwendbarkeit des neuen sektorübergreifenden Korrekturfaktors dar.